Der 1985 erschienene
Roman „Das Parfum – Die
Geschichte eines Mörders“ ist zum Weltbestseller geworden.
Seit Erich-Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“ ist kein deutsches
Buch so
oft verkauft worden wie das „Parfum“. Die Verfilmung von Tom Tykwer und
Bernd
Eichinger, die im Sept. 2006 in den Kinos angelaufen ist, hat dem Roman
zu
erneuter Popularität verholfen. Dabei wird die Frage lebhaft
diskutiert,
inwiefern die komplexe Duftwelt des Romans durch das auf Optik und
Akustik
beschränkte Medium Film überhaupt dargestellt werden kann.
Für mich jedenfalls stand
nach der ersten Lektüre des Romans fest: Dieses Werk würde ich ins Lateinische
übertragen, oder, um mit
Süskinds Grenouille zu reden: dieses Duftdiadem würde ich schmieden,
koste es
was es wolle!
Aber wie? In der
lateinischen Literatur gibt es nirgendwo einen vergleichbaren Roman –
schon gar
keinen „postmodernen“, wie die Literaturwissenschaftler Süskinds
„Parfum“ nennen.
Romane sind in der lateinischen Literatur überhaupt sehr selten, von
antiken
lateinischen Romanen sind nur drei zu nennen: Das Fragment der
„Satyricon
libri“ des Petron, der „Goldene Esel“ (die „Metamorphosen“) des
Apuleius und
die „Historia regis Apollonii Tyri“.
Und wie sollte ich all
die
subtilen Duftunterscheidungen, all die phantastischen Gedankenreisen
Süskinds -
Grenouilles Erweckungserlebnis als Pinocchio auf Madame Gaillards
Holzstoß, die
stinkenden Tierfelle, die ewige Nässe, die ätzenden Säuren von Grimals
Gerberei, Baldinis duftstoffüberladene Parfumerie, seine Eitelkeit,
seine
Hoffnungen und
Enttäuschungen, seine Schwindeleien, seine komisch-prahlerischen
Erzählungen beim Weintrinken vor dem Alembic, die kühnen Duftträume des
Geruchsmonomanen
im purpurnen Salon und in der Höhle des Plomb du Cantal, die grotesken
Theorien
und Erfindungen des schrulligen Marquis de Taillade-Espinasse und seine
Vermählung mit dem himmlischen Fluidum auf dem Pic-du-Canigou, die
mörderischen
Enfleuragen des Parfumeurgesellen Jean-Baptiste, die schmelzend-schönen
Augen
der geschäftstüchtigen Madame Arnulfi beim
Anblick der gewinnverheißenden Essence
absolue und
die aura seminalis
ihres derb-sinnlichen Gesellen und Bettgenossen Druot, Richis’
kalt-berechnende
Kaufmannslogik, seine aufklärerischen Überzeugungen, sein
detektivischer
Spürsinn - und, nachdem er Grenouilles Liebesparfum geschnuppert hat -
sein
närrisch-verliebtes Turteln mit dem Mörder seiner Tochter! – die
gewaltige, von
Grenouilles Liebesparfum verursachte Orgie in der Stadt Grasse, bei
welcher der
Bischof mit dem grünen Beffchen, der Priester und die Freimaurerin,
Bürger und
Bauern, geistliche und weltliche Personen jeden Standes und jeder
Herkunft in
einen sinnenfrohen Taumel versetzt werden, schließlich das
kannibalische Ende
des genialsten Parfumeurs aller Zeiten – wie sollte ich all diese
bizarren
Duftlandschaften eines Königs der Phantasie, all diese wortmächtigen
Metaphern,
Allegorien und Phantasmagorien Patrick Süskinds in die Sprache Cäsars
und
Ciceros transformieren, der man doch eher eine gewisse Nüchternheit, ja
sogar
Sprödigkeit nachsagt?
Nun sind aber bei der
Übersetzung dieses Romans, der im 18.Jh. spielt, kaum irgendwelche
Wort-Neuschöpfungen nötig – abgesehen von Wörtern, die vom Autor
selbst im
Original neu gebildet wurden. Vielmehr kann man die meisten Wörter und
Wendungen in der bereits vorhandenen lateinischen Literatur finden –
wenn man
die diesbezüglichen Quellen kennt und die nötige Geduld besitzt. Die
Schwierigkeit besteht ja bei lateinischen Übersetzungen moderner Texte
insbesondere darin, dass auch der antike Wortschatz des Lateins in den
neusprachlich-lateinischen Wörterbüchern keineswegs vollständig erfasst
ist –
ganz zu schweigen von dem Vokabular der mittel- und neulateinischen
Literatur.
Zwei
lange Semesterferien während einer Tätigkeit als Lektor im Fernen
Osten, ein
Winter (2002/3) und ein Sommer (2003), viel Zeit also, viele gute
Lexika (auch
Fachlexika, wie botanische, zoologische, pharmazeutische,
medizinische), und
ein Zettelkasten, dessen Notizen auf eine etwa dreißigjährige Lektüre
lateinischer Literatur aller Epochen – vom Alt- bis zum Neulatein –,
sowie auf
Lateinsprechen, Lateinschreiben und aufs Übersetzen
ins Lateinische
zurückgehen -
ließen eine lateinische
Übersetzung von Süskinds „Parfum“ heranreifen, mit der ich – nach
manchem
Kopfzerbrechen, nach vielen Versuchen und Irrtümern, letztendlich
zufrieden bin
und die mich die Behauptung wagen lässt, dass sie an inhaltlicher und
stilistischer Treue durchaus nicht hinter neusprachlichen Übersetzungen
zurücksteht. (N. Groß)
Verlag LEO LATINUS
Originalausgabe: Patrick Süskind, Das Parfum. Die Geschichte eines
Mörders, Zürich, Diogenes Verlag, 1985
(Als Lexikon zum Wortschatz dieser Übersetzung und als lateinische
Enzyklopädie empfehlen wir das Glossarium
Fragrantiae, hier erhältlich)
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